SPRACHEN
Junge Menschen werden jeden Tag mit Sexualität konfrontiert. Themen wie Homo- oder Transsexualität sind bislang nicht in den Lehrplänen der bayerischen Schulen verankert. Das Kultusministerium hat die 15 Jahre alten Richtlinien nun überarbeitet.
Über Sex zu reden, ist nicht jedermanns Sache. Und dennoch ist er überall ein Thema: im Internet, zu Hause und auf dem Schulhof. Die richtige Verhütung ist schon lange nicht mehr das einzige Thema, das junge Erwachsene beschäftigt. Neue Familienkonzepte, neue Geschlechterbilder, Bi- und Homosexualität werden immer offener gelebt. Bei vielen jungen Menschen rufen diese Themen Fragen hervor. Antworten bekamen sie in bayerischen Schulen bislang meist selten.
Der Freistaat hat nun reagiert und die rund 15 Jahre alten Richtlinien für Familien- und Sexualerziehung in Schulen umfassend überarbeitet. Sie treten bald in Kraft. Gut so und längst überfällig, finden Eltern- und Lehrerverbände. «Wir begrüßen die Überarbeitung des Lehrplans sehr. Ganz besonders im Hinblick auf Aufklärung und Prävention vor sexuellem Missbrauch», sagt Martin Löwe, Vorstand des Bayerischen Elternverbands. Dieser unterstützt eine zeitgemäße sexuelle Aufklärung der Schüler, die vor allem ihrem Schutz dienen müsse.
Das Ergebnis der Überarbeitung sind laut Kultusministerium Inhalte, die die Schüler sowohl besser über Missbrauch aufklären als auch die Vielfalt der Lebenswirklichkeiten von Menschen abbilden. Der Ausdruck Lebenswirklichkeit beziehe sich dabei explizit nicht nur auf Menschen, die in der traditionellen Familienform leben, sagt ein Sprecher. Lehrer und externe Berater sollen auch Hetero-, Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität ohne Vorurteile ansprechen. Weitere thematische Schwerpunkte bilden in Zukunft sexualisierte Bilder in den Medien und sexuelle Identitätsfindung.
Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands, bezeichnet die Reform als «absolute Chance», den Gender- und Rollenbegriff eingehender zu behandeln. «Viele Fragen der Schülerinnen und Schüler bleiben zu Hause oftmals unbeantwortet. Ganz besonders Homosexualität ist ein großes Thema, bei dem auch die Schulen Verantwortung übernehmen müssen», führt sie aus. Sehr viel weiter hätten die Richtlinien ihrer Meinung nach beim Thema homosexuelle Paare als Eltern gehen müssen: «Schwule oder lesbische Elternpaare gibt es immer öfter. Konkret angesprochen wird das Thema aber auch in den neuen Richtlinien nicht.»
Auch Pro Familia begrüßt die neuen Richtlinien und den Fokus auf unterschiedliche Rollen- und Identitätsbilder. Die Themen seien ohnehin seit Jahrzehnten im Verbandskonzept für sexuelle Aufklärung verankert, sagt eine Beraterin. Für sie ändere sich daher nichts. Das Angebot des Verbands für Sexualpädagogik und Familienplanung, Aufklärungsunterricht bei Workshops in den Klassen durchzuführen, nähmen viele Schulen gerne an: «Für die Lehrer ist Sexualität in der Regel ein schwieriges Thema. Sie sind froh, wenn externe Berater in die Schule kommen, um mit den Schülern über Sexualität zu sprechen.»
Aber nicht alle Eltern möchten, dass Kinder am Aufklärungsunterricht teilnehmen: «Die Eltern, die ihre Kinder von dem Thema Sexualität fernhalten wollen, die erreichen wir auch mit Briefen oder Elternabenden nicht.» Nur hin und wieder kommt es laut Pro Familia vor, dass Schüler an den Kursen auf Elternwunsch nicht teilnehmen. Der Bayerische Elternverband kann das nicht nachvollziehen. «Die gesellschaftliche Wirklichkeit muss schließlich angemessen im Unterricht repräsentiert werden», meint Vorstand Löwe.
In der Öffentlichkeit regt sich nur vereinzelt Protest, wenn es um die Anpassung des Sexualkundeunterrichts an gesellschaftliche Realitäten geht. In Augsburg hat die Initiative «Besorgte Eltern» im vergangenen Jahr zu Protesten aufgerufen. Und auch das Aktionsbündnis «Demo für alle» macht derzeit in Baden-Württemberg Stimmung gegen die Thematisierung von Genderfragen im Unterricht. Löwe hält das für eine Ausnahmeerscheinung: «Das sind Eltern aus einer konservativen Ecke, die aber nicht die Meinung der Mehrheit widerspiegeln.»
Pro Familia Augsburg bestätigt, dass Widerstand gegen eine Anpassung des Aufklärungsunterrichts nur von Einzelnen ausgehe. Viele Eltern legen jedoch Wert darauf, dass auch die traditionelle Familienform konkret angesprochen wird. Wichtig sei den Beratern vor allem, dass nichts tabuisiert werde: «Wir müssen Antworten auf alle Fragen geben. Und wenn ein Kind sagt, dass es zwei Papas hat, erkennen wir das als genauso wertig an wie eine traditionelle Familie», sagt eine Beraterin.
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